Waldeckische Landeszeitung vom 03.10.2020

Mobirise
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Hofgeismar/Mengeringhausen – Wenn Jörg Cox auf dem sofaweichen Sitz Platz nimmt, im beengten Fahrerraum die Zündung betätigt und das lautstarke Geknatter des Zweitakters vernimmt, ist das wie Weihnachten für ihn. Oder besser gesagt: Es ist Trabi-Wohlfühlzeit.

Vor drei Jahren ist der gebürtige Mengeringhäuser, der mittlerweile in Hofgeismar lebt, auf das DDR-Kultauto gekommen. Für Lästermäuler, die sein liebstes Gefährt als „Asphaltpickel“, „Nuckelpinne“ oder „Gehhilfe“ verunglimpfen, hat der 51-Jährige gerade mal ein Lächeln übrig. „Es gibt kaum was Schöneres, als in einem Trabi durch die Gegend zu düsen“, sagt er und fügt an, dass es nicht nur der eigentümliche Zweitakter-Sound sei, sondern auch der typische Geruch der blauen Wolke, der sein Herz höher schlagen lässt.
Doch der Reihe nach: Eher unspektakulär ging Cox Faible für den Ost-Klassiker los. „In der 50 Kubik-Klasse darf eine Schwalbe 60 km/h fahren, also 15 km/h schneller als die Übrigen, weshalb ich mir eine angeschafft habe“, berichtet der Regiotramfahrer. Waren es seinerzeit eher praktische Gründe, die ihn zu dem „Ossi-Zweirad“ gebracht hatten, so interessierte er sich fortan immer mehr für eigentlich alles aus der ehemaligen DDR.
So wundert es wenig, dass irgendwann der Wunsch nach einem Trabi aufkam: „Ich habe ein wenig im Internet gestöbert und als mir einer ins Auge fiel, zugeschlagen.“ Das war ein cremeweißer Trabant P 601, Baujahr 1986. „Da dieser in einem Fliederton abgesetzt war, kam einem Freund die Idee, ihn als Volkspolizeiwagen umzugestalten“, berichtet Cox. Von diesen habe es nämlich fünf Prototypen gegeben, die allerdings wegen des Wartburgs Ladas nie im Einsatz gewesen seien. 

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Wenn auch nicht ganz original lackiert, zieht der Wahlhofgeismarer bei seinen Touren mit dem besonderen Plastebomber stets alle Blicke auf sich. „Als I-Tüpfelchen habe ich dann noch eine Blaulichtbrücke angebracht, die mächtig Radau macht“, erzählt er und gibt eine ohrenbetäubende Kostprobe.
Spaß kommt zudem auf, wenn er sich zu einer Durchsage hinreißen lässt, die ebenso möglich ist. „Natürlich nicht im Straßenverkehr, da muss ich sogar das Blaulicht abdecken.“ Und wenn er dann noch in seine Original-Uniform schlüpft, mit todernster Miene und lautem „Töff Töff“ und „Ehm Ehm“ durch die Straßen rollt, drehen sich viele Passanten um. „Es gibt viele schöne Reaktionen, wenn ich mit meinem Lieblingsauto unterwegs bin – einige winken, andere hupen oder lächeln.“
Dass Cox durchaus auch eine Vorliebe für Ost-Kitsch hat, verrät die Rückbank seines speziellen Oldtimers, wo etwa das Ost-Sandmännchen neben umhäkelter Klorolle und Blinkgurt zu finden ist. Das ist allemal nur ein Vorgeschmack auf sein DDR-Zimmer: „Halt Staatsgrenze! Passieren verboten!“ steht da auf einem Schild an der Tür. Eine Wand ziert eine Tapete der Berliner Mauer, und Schnatterinchen und Pittiplatsch teilen sich mit Badeschaum, NVA-Kappen und Ostbier die Regale.
Damit es ihm in der Winterzeit nicht langweilig wird, hat er sich vor Kurzem eine Simson S51 angeschafft. Die sei gerade total zerlegt und müsse wieder auf Vordermann gebracht werden, freut er sich. Die schlichte Technik der DDR-Gefährte ist es auch, die ihn begeistert. „Hier kann man noch viel selber machen.“ Außerdem bekäme man Trabi und Co. für relativ kleines Geld.
Auch wenn Cox es liebt Ostgerichte nachzukochen, „wie etwa Jägerschnitzel, bei der man Jagdwurst paniert und in die Pfanne wirft“, so trinkt er sein Pils am liebsten in „eisgekühlter Westmanier“, denn „drüben wurde das in Zimmertemperatur genossen“. Der Mauerfall selbst ist ihm gar nicht mehr allzu gut im Gedächtnis: „Ich habe das damals im Fernsehen gesehen, aber für mich hatte es seinerzeit keine besondere Bedeutung“, erinnert er sich. Zwar habe er sich irgendwann mal auf eine Tour gen Osten gemacht, doch die habe erst Monate später stattgefunden.
Von Tanja Temme 

Hintergrund: Die Volkspolizei während der Wiedervereinigung 

Zur Geschichte der Volkspolizei in der DDR gehört auch, dass während der Wende Volkspolizisten in Dresden mit Schlagstöcken eingesetzt wurden, um DDR-Bürger daran zu hindern, auf Züge in den Westen aufzuspringen. Am 7. Oktober 1989 wurde die Volkspolizei ebenso gegen Demonstranten in Berlin eingesetzt. Hierbei kam es zu schweren Körperverletzungen, Verweigerung von Hilfeleistung durch die Beamten und Schikanen gegenüber Gefangenen. Laut späteren Untersuchungen wirkte das Ausmaß der Gewalt der Sicherheitskräfte gegen die eigenen Bürger auf beide Seiten verstörend.
Im weiteren Verlauf verzichtete die SED auf Versuche, die Demos gewaltsam zu unterdrücken. Ab dem 4. November 1989 kam es sogar zur Kooperation zwischen der Volkspolizei und den Ausrichtern einer Großdemonstration am Alexanderplatz in Berlin. Unter der Regierung Modrow wurde der jahrzehntelange Innenminister und Volkspolizeichef Friedrich Dickel durch Lothar Ahrendt ersetzt. Das Amt des Innenministers wurde vom Amt des Volkspolizeichefs getrennt.
Nach der Wiedervereinigung 1990 verließen Tausende aufgrund ihrer Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit oder Dienstverhaltens die Volkspolizei, da sie sich keine Weiterverwendung in die an ihre Stelle tretenden Landespolizeien der nun wiedervereinigten Bundesrepublik erhofften. Am ehesten jüngere Dienstränge hatten eine Chance auf Weiterverwendung im Polizeidienst. Die Führungsstellen der neu aufzubauenden Landespolizeibehörden wurden von westdeutschen Kollegen besetzt. wikipedia.de 

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